Das nordrhein-westfälische Oberverwaltungsgericht hat seine Rechtsprechung zur Abwassergebührenberechnung geändert und einem Kläger gegen die Stadt Oer-Erkenschwick Recht gegeben. Das Urteil kann weitreichende Folgen für die Gebührenkalkulationen aller Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen haben.
Die CDU-Fraktion im Rat der Stadt Selm hat dazu eine Anfrage an die Verwaltung gerichtet. Das OVG Münster kommt in seinem Urteil zu der Auffassung, dass die Berechnung von kalkulatorischen Abschreibungen und kalkulatorischen Zinsen in der Abwassergebühr zu einem Gebührenaufkommen führt, das die Kosten der Anlagen überschreitet. Neben einem geringfügigen Rechenfehler (doppelter Ansatz der Abschreibungen für Fahrzeuge und Geräte) lägen nach der nun erfolgten Änderung der bisherigen, 1994 begründeten Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts zwei grundlegende Kalkulationsfehler vor:
- Der gleichzeitige Ansatz einer Abschreibung der Entwässerungsanlagen mit ihrem Wiederbeschaffungszeitwert (Preis für die Neuanschaffung einer Anlage gleicher Art und Güte) sowie einer kalkulatorischen Verzinsung des Anlagevermögens mit dem Nominalzinssatz (einschließlich Inflationsrate) sei unzulässig. An der bisherigen anderslautenden Rechtsprechung wird damit nicht mehr festgehalten.
- Außerdem sei der von der Stadt in der Gebührenkalkulation – ebenfalls auf Basis der bisherigen Rechtsprechung – angesetzte Zinssatz von 6,52 % sachlich nicht mehr gerechtfertigt. Der hier gewählte einheitliche Nominalzinssatz für Eigen- und Fremdkapital, der aus dem fünfzigjährigen Durchschnitt der Emissionsrenditen für festverzinsliche Wertpapiere inländischer öffentlicher Emittenten zuzüglich eines pauschalen Zuschlags von 0,5 Prozentpunkten für höhere Fremdkapitalzinsen ermittelt wurde, gehe über eine angemessene Verzinsung des für die Abwasserbeseitigungsanlagen aufgewandten Kapitals hinaus. Das Oberverwaltungsgericht hält es bei einer einheitlichen Verzinsung für angemessen, den zehnjährigen Durchschnitt dieser Geldanlagen ohne einen Zuschlag zugrunde zu legen. Daraus ergäbe sich für das Jahr 2017 bei der von der Stadt Oer-Erkenschwick ansonsten gewählten Methode ein Zinssatz von 2,42 %.
Die CDU-Fraktion im Rat der Stadt Selm hat sich darüber hinaus beim zuständigen Ministerium erkundigt, wie von Seiten der Landesregierung Nordrhein-Westfalen das Urteil eingeschätzt wird. Ina Scharrenbach, geschäftsführende Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes Nordrhein-Westfalen: „Das Urteil ist weitreichend und bedarf einer intensiven Prüfung. Die Urteilsbegründung liegt noch nicht vor. Eine Prüfung schließt auch mögliche Veränderungen an landesgesetzlichen Grundlagen ein, damit in Zukunft eine qualitativ hochwertige Abwasserentsorgung gesichert werden kann, wie sie auch das europäische Recht fordert. Das Urteil ist noch nicht bestandskräftig und es ist abzuwarten, ob die beklagte Stadt Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesverwaltungsgericht erhebt.“